„Fürchtet euch nicht!“ – Tagungsrückblick des Online-Forums 2020
„Fürchtet euch nicht!“ – Nicht vor Menschen, nicht vor schwierigen Gesprächen und nicht vor herausfordernden Aufgaben. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAG K+R) debattierte mit ihren rund 80 Teilnehmer*innen am 20./21.11.2020 auf ihrer Online-Jahrestagung, wie innerhalb und mithilfe der Kirche das Engagement gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus aufrechterhalten und gestärkt werden kann.
Dabei hatte das Forum auch in diesem Jahr einen regionalen Schwerpunkt. Zusammen mit den Referent*innen und Teilnehmer*innen schauten wir vor allem auf Sachsen, insbesondere auf Ostritz und auch das angrenzende Tschechien. Denn in Ostritz sollte die Tagung ursprünglich stattfinden, um diese kleine Stadt in Ostsachsen und ihr furchtloses Engagement gegen rechtsextreme Konzerte und Kampfsportveranstaltungen zu würdigen und aus ihren Herausforderungen zu lernen. Es galt, Mut zu machen. Dass die Tagung dann leider online stattfinden musste, hatte aber einen positiven Nebeneffekt: Teilnehmer*innen und Referent*innen aus dem kompletten Bundesgebiet, aus Tschechien, aus den USA und den Niederlanden konnten unkompliziert an der Veranstaltung teilnehmen und Erfahrungen austauschen.
Der erste Tag
Das Forum begann mit den Grußworten des Ordinariatsrats Diakon Dr. Daniel Frank, Leiter des katholischen Büros in Sachsen, der die Tagungsteilnehmer*innen in ihrem Kampf gegen Rechtsextremismus explizit bestärkte und sich dabei auf die zentrale biblische Botschaft „Fürchtet euch nicht!“ bezog. Anschließend sprach die sächsische Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Petra Köpping. Sie machte in ihrem per Video eingespieltem Grußwort deutlich, dass Kirchen und kirchliche Einrichtungen „Orte der Demokratie“ seien und „für alle Menschen offen stehen“ sollten. Ihr sei bewusst, so die Staatsministerin weiter, dass dies „keine einfache Zeit“ sei und viele der Anwesenden „mit Anfeindungen zu kämpfen“ hätten. Ihr Engagement verdiene Unterstützung.
Den ersten Vortrag der Tagung hielt Dr. Katharina von Kellenbach, Professorin der Religious Studies am St. Mary’s College of Maryland/USA und
Projektreferentin in der Evangelischen Akademie zu Berlin. Unter dem Titel „Fürchtet euch nicht! – Kirchlich-politisches Engagement gegen Rassismus“ setzte sie sich intensiv mit der Bekämpfung von Rassismus auch innerhalb der Kirche auseinander und stellte Martin Luther King und insbesondere auch einen Text von Dietrich Bonhoeffer in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Mit ihm forderte sie die Kirchen auf, aus ihrer Blase herauszukommen und die eigene Identität kritisch zu prüfen.
Im Abendtalk sprachen fünf lokale Akteur*innen mit Altbischof Dr. Markus Dröge, Mitglied des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland, über die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus in Sachsen und in der Oberlausitz, über regionale Herausforderungen, den Mut der Einzelnen und die wichtigen Bündnisse für Demokratie, die sich bilden (müssen). Von ihrer Arbeit und ihrem Engagement vor Ort berichteten Hamida Taamiri, Vorsitzende des Arabischen Frauenvereins Nissaa und Mitglied des Sprecher*innenrates des Komitees von Migrantenselbst organisationen im Landkreis Bautzen; Sven Kaseler von der Initiative Augen auf e.V. in Löbau; Marion Prange, Bürgermeisterin in Ostritz; Julian Nitzsche, Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung für das Sorbische Volk sowie des Rates für sorbische Angelegenheiten im Freistaat Sachsen und Jörg Michel, Pfarrer in der Evangelischen Kirchgemeinde Hoyerswerda.
Nach dem Abendtalk saßen die Teilnehmenden dann zum Teil noch bis 22 Uhr in kleinen digitalen Räumen zusammen und ließen den Tag Revue passieren, tauschten sich über ihre Arbeit und die Themen des Jahres aus und schmiedeten hier und dort gemeinsame Pläne für künftige Kooperationen. Es war ein schöner Ausklang und eine gelungene Alternative für die tollen Gespräche, die auf Tagungen normalerweise „in echt“ in Pausen und am Abend bei einem Getränk geführt werden.
Der zweite Tag
Der zweite Tag begann mit der Online-Andacht des Oberlandeskirchenrat Dr. Thilo Daniel, Stellvertreter des Landesbischofs der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Gleich im Anschluss und noch am frühen Samstagmorgen gelang dann ein tolles Experiment: Eine Stunde lang hatten die Teilnehmer*innen Zeit, sich zu Themen auszutauschen, die ihnen selbst unter den Nägeln brannten. Da die Themen aus der Mitte der Anwesenden kamen, verliefen die Gespräche in den Themenräumen sehr dynamisch und anregend. Es wurden unter anderem offene Fragen des Vortrages besprochen, aber auch neue Themen vertieft.
Aus eigener Erfahrung berichteten danach die ZEIT-Journalistin Özlem Topçu und Ali Can, der Begründer der „Hotline für besorgte Bürger“ und der Twitter-Bewegung „#metwo“, wie enthemmt und hasserfüllt sich Menschen äußern können. Vor dem Hintergrund der Fragestellung „Über was können wir noch reden? Und mit wem?“ schilderten beide sehr bedacht, wie sie bis heute mit solchen Situationen umgehen und welche Wege der Kommunikation ihnen als sinnvoll und machbar erscheinen. Özlem Topçu verlas dafür noch einmal einen kleinen Auszug aus den erschütternden und zutiefst rassistischen und bedrohlichen Leser*innenkommentaren, die sie und ihre Kolleg*innen über die Jahre erhalten und gesammelt hatten. In nachdenklichen Worten wägte Özlem Topçu daher ab, mit wem eine Auseinandersetzung noch gelingen kann – und um welchen Preis für die von Rassismus Betroffenen selbst.
Ali Can differenzierte seine Ratschläge ebenfalls sorgfältig aus. So riet er zwar davon ab, rechten Politiker*innen eine Bühne zu bieten, sprach sich aber durchaus dafür aus, sich mit einer offenen und gesprächsbereiten Haltung den auch hasserfüllten Menschen zuzuwenden. Dialog sei auch immer Streit, der dann ins Nachdenken führen kann (und muss).
In den anschließenden Workshop-Phasen diskutierten die Teilnehmenden am Nachmittag zuerst über Themen wie Antiziganismus, rechter Lifestyle mit Schwerpunkt auf Rechtsrock- und Kampfsportevents, kreatives Engagement aus Tschechien und Sachsen für Menschenrechte und Demokratie und Verschwörungsideologien in Zeiten von Corona. In den Workshops der zweiten Phase wurde über Wertkonservatismus und Rechtsextremismus, über völkische Theologie und der Begegnung von Hass und Rassismus im Netz diskutiert.
Die Tagung endete mit einem Reisesegen von Dr. Markus Dröge, wenngleich er in den meisten Fällen die Teilnehmer*innen in ihren Wohnungen erreichte. Aber Reisen gibt es ja verschiedene.
Das Forum der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus fand in Kooperation mit der Evangelischen Kirche Deutschland, dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), der Evangelischen Akademie zu Berlin und dem Kulturbüro Sachsen e.V. statt.
Wir danken für ein wunderbares Zusammentreffen und den inspirierenden Austausch!