Begrüßungsansprache Christhard Wagner

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

ich freue mich sehr, Sie im Namen von Landesbischöfin Junkermann zu unserer Fachkonferenz begrüßen zu können.
Zuerst möchte ich den Veranstaltern danken. Es ist Ihnen gelungen, die richtigen Themen zu identifizieren und die richtigen Leute, damit meine ich jetzt nicht eben mich, für diese Veranstaltung als Referenten und Diskutanten zu gewinnen.

Zum anderen freue ich mich darüber, dass Sie als Fachleute und Interessenten der Einladung gefolgt sind. Wir brauchen jede Menge Arbeiterinnen und Arbeiter im Weinberg, die sich der Braunfäule dieses Landes annehmen. Dazu sind gute Strategien, überzeugende Ideen, vernetzte Akteure und motivierende Beispiele nötig. Die Fachkonferenz kann dazu einen entscheidenden Beitrag leisten. Also noch einmal vielen Dank für Ihr Kommen.

Jeder von uns bringt seinen ganz persönlichen Bezug zum Thema der Konferenz mit. Ich habe Anfang der 90iger Jahre in der Jugendarbeit schwierige und ermutigende Erfahrungen mit Möchtegern – Neonazis und Altkadern gesammelt. Damals war das Thema überhaupt nicht im kirchlichen Blick. Wir mussten, wie auch bei verschiedenen anderen Aktivitäten, immer wieder erklären, warum wir uns nicht dem „Eigentlichen“ widmeten. Eine Erfahrung, die sich auch heute hier und da machen lässt. Aber auch in der Gesellschaft war in den 90iger Jahren unser Thema kein Thema. Ja, wenn eine Demonstration vor der Haustür anstand, ein Gewaltakt geschehen war oder die NPD sich anschickte, in ein Parlament einzuziehen, kam man nicht umhin, sich irgendwie zu verhalten. Ansonsten erklärte man die Aktivisten gegen Rechtsextremismus zu Alarmisten oder stellte sie in die linksextremistische Ecke.

Und wie sah es in der Kirche aus? Es gab Gott sei Dank eine Reihe von Kirchgemeinden, Initiativen der Jugendarbeit und tapfere Einzelne, die sich an Runde Tische setzten, auf Demos redeten, Unterstützungsarbeit leisteten, Bündnisse schmieden halfen. Grundsätzlich sahen wir unsere Arbeit als sozialdiakonischen Auftrag an, „der Stadt Bestes zu suchen“. Mein AHA-Erlebnis hatte ich dann im Jahr 2001. Der Thüringen-Monitor erschien zum ersten mal. Der Thüringen-Monitor ist eine von der Thüringer Staatskanzlei in Auftrag gegebene Studie, die vom Institut für Politikwissenschaft an der FSU Jena nun schon zum elften mal vorgelegt wird. Das Besondere an dieser Studie ist seine Kontinuität. Neben einem jährlich wechselnden Schwerpunkt werden mit immer gleichen Fragen die politischen Orientierungen und Einstellungen der Thüringerinnen und Thüringer untersucht. So stellte 2001 die Studie u.a. fest, dass rund 36 Prozent der Thüringer eine ausländerfeindliche Einstellung haben. Das war für mich erschreckend.

Erschreckender war für mich jedoch der zweite Befund: Die Christen in diesem Land unterscheiden sich in keiner Weise vom Durchschnitt der Bevölkerung.
Zuerst weigerte ich mich, dieses vernichtende Urteil zu akzeptieren. Stimmten die Untersuchungsinstrumente? Ist die Umfrage wirklich repräsentativ? Ich wurde eines besseren belehrt. Die Zahlen stimmten – und Sie werden uns immer wieder seit 10 Jahren bestätigt. Zum zweiten war ich enttäuscht und verärgert – und ein wenig schämte ich mich für uns. Zum dritten frage ich mich und uns: wie kann es sein, dass Christen, die mit der Geschichte vom Barmherzigen Samariter aufgewachsen sind, durch Kinder- und Konfirmandenarbeit gegangen sind, Predigten gehört und Gemeindeabende besucht haben, zu solchen Einstellungen neigen?

Ein letzter Ausweg blieb: vielleicht sind die 36 % diejenigen, die nie so richtig mit Kirche in Kontakt gewesen sind. Prof. Schmidt nahm mir auch diese Hoffnung: seine Interviewer hatten u.a. auch an Kirchentüren ihre Fragen gestellt… Zum Schluss stand die Erkenntnis: wir haben nicht nur eine gesellschaftliche Aufgabe mit zu gestalten, sondern haben reichlich innerkirchliche Arbeit vor uns. Wir sitzen im Glashaus. Was tun? Die Kirchenleitung der EKM verabschiedete eine sehr deutliche Erklärung, in der Rechtsextremismus und christlicher Glaube für unvereinbar erklärt wurden. Es gründete sich die Arbeitsgemeinschaft „Kirche und Rechtsextremismus in der EKM“.

Die EKM-Kampagne 2007 „Nächstenliebe verlangt Klarheit“ wurde auf die Kirchgemeinden hin konzipiert. Auch nach dem Kampagnenjahr wurden bis heute eine Fülle von Aktivitäten, Arbeitshilfen und Projektideen durch die AG in der EKM angestoßen und multipliziert. Wir können ohne weiteres mit Stolz feststellen: es hat sich auf diesem Gebiet Einiges getan. Nun wurde vor wenigen Wochen der 11. Thüringen-Monitor vorgestellt. Er stellt fest: In Thüringen wie im Bundesgebiet insgesamt ist nach den Wahlniederlagen der rechtsextremen Parteien 2009 eine gedämpfte Organisations- und Mobilisierungsfähigkeit der rechtsextremen Szene festzustellen. Gleichzeitig müssen wir zum ersten mal seit einigen Jahren die Zunahme rechtsextremer Einstellungen in der Bevölkerung konstatieren.
Deutlich zugenommen hat z.B. die Ausländerfeindlichkeit: Mehr als die Hälfte der Befragten hält Deutschland in einem gefährlichen Maß überfremdet. Der Nationalsozialismus wird zunehmend verharmlost. Seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts waren die Werte in allen Dimensionen rückläufig. Dieser Trend ist nun unterbrochen. Über die Ursachen werden nur sehr vorsichtige Aussagen getroffen. Eine davon könnte nach den Aussagen der Studie die Sarrazin-Debatte sein: Vorhandene ausländerfeindliche und nationalistische Einstellungen werden nunmehr deutlicher artikuliert und verfestigt. Meine eigene Beobachtung bestätigt diese Vermutung deutlich. Eine zweite Annahme geht in die Richtung, dass der Anstieg der rechtsextremen Einstellungswerte eine Spätfolge der Weltwirtschaftskrise ist.

Bedenklich ist das Anwachsen des harten Kerns der Rechtsextremen von 3% auf 9 % sowie die Steigerung der Rechtsextremen insgesamt von 13 % auf 17 %. Offensichtlich schlagen sich jedoch die Einstellungen (noch) nicht auf die Wahlergebnisse nieder. Ansonsten wäre die NPD in Thüringen nicht bei 4,5 % gelandet. Zum einen liegt dies daran, dass der ,harte Kern‘ zwar überdurchschnittlich rechtsextremen Parteien zuneigt, weit überwiegend jedoch den im Landtag und Bundestag vertretenen Parteien. Zum anderen gehören Rechtsextreme nicht zum politisch aktiven Teil der Bevölkerung. Sie gehen weniger wählen, nicht auf Demonstrationen und arbeiten nicht in Bürgerinitiativen mit.

Erschreckend bleibt die Tatsache: Auch 2011 können sich evangelische wie katholische Christen in keiner Weise vom allgemeinen Trend absetzen. Wir kann es sein, dass 55 % aller evangelischen Christen der Aussage zustimmen: „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichem Maß überfremdet“? Wie kann es sein, dass 26 % der evangelischen Christen der Aussage zustimmen: „Es gibt wertvolles und unwertes Leben“ (hier liegen wir sogar 2 Prozent über dem Bevölkerungsdurchschnitt)? Waren all unsere Anstrengungen umsonst ? Nur Symbolpolitik, Sonntagspredigten, „christian correctness“ und nichts dahinter? Wir werden sicher genügend Beispiele in dieser oder jener Richtung auf der Tagung hören. Da berichtet mir im Vertrauen der Kollege, dass er dieses Thema nicht in seinen Gemeindekirchenrat bringen kann. Was kann man da machen? Da wird den Verantwortlichen der Kampagne – schon wieder einmal – vorgeworfen, sich nicht um das Eigentliche zu kümmern. Da werden auch unter Christen alte Vorurteile, Klischees und rassistische Einstellungen unwidersprochen kolportiert. Was kann man da machen?

Die nebenamtlichen Mitglieder der AG Rechtsextremismus können nicht durch Konvente oder GKR´s reisen – und was würde ein solcher Besuch bewirken? Da kann man noch so schöne Arbeitshilfen herstellen – wenn sie auf dem großen Stapel unbearbeiteter Papiere landen? Da strampeln sich treue Haupt- und Ehrenamtliche ab und werden in ihrer Umgebung allein gelassen. Da müssen Menschen Angst vor Übergriffen und Anfeindungen haben. Da wird ein Tabu nach dem anderen gebrochen und das Unanständige rückt in die selbstverständliche Mitte der Gesellschaft.

Trotz des leicht resignativen Eindrucks möchte ich mir und uns Mut machen. Denn: Einstellungen sind nur über lange Zeit hin zu verändern. Und zum zweiten: Geduld ist eine christliche Tugend. Die Kirche denkt in Jahrtausenden. Gut, ganz so lange sollte es bitte nicht dauern, aber ein langer Atem in dieser Frage ist nötig.

Es bleiben auf diesem langen Weg für mich einige Erkenntnisse, die uns vielleicht weiterhelfen: Dabei können uns die Beobachtungen der ,Ökumenischen Besuchsgruppe‘, die im vergangenen Jahr drei Wochen durch Deutschland reiste, weiterhelfen. Sie haben davon gehört.

Eine erste Erkenntnis: Rassismus und Rechtsextremismus sind nicht allein ein soziales Problem. Sie sind nicht einmal nur ein diakonisches Problem – sie sind eine zutiefst geistliche Herausforderung. Wir befinden uns damit nicht im kirchlichen Randbereich, sondern in der Mitte unseres christlichen Selbstverständnisses. Dr. Manchala, der Leiter des Programms Einheit, Mission und Spiritualität beim Ökumenischen Rat der Kirchen schreibt: „Der Impuls (der Konsultationsreise) entstand nicht aus der Opferrolle heraus, sondern aus einem Selbstverständnis als Glaubensgemeinschaft, die Rassismus als ernsthafte Herausforderung für das eigene Bekenntnis und die Praxis des christlichen Glaubens in Deutschland anerkennt…. Die einladenden Kirchen und kirchlichen Organisationen öffneten sich Fachleuten von außen, um Rechenschaft darüber abzulegen, wie sie auf eine Geißel reagieren, die ihre Gesellschaft plagt. Dies ist ein Akt der Demut, und ich wünsche mir, viel mehr Kirchen würden diesem Beispiel folgen- in unserem Bemühen, die Kräfte zu überwinden, die gegen den Willen Gottes in derWelt arbeiten.“

Die Teilnehmer der Konsultationsreise stellten weiterhin fest: „Rassismus ist Sünde. Der Kampf gegen Rassismus ist ein grundlegender Bestandteil des Evangeliums. …Wir sehen die nicht verheilten Wunden und die Schuld, die durch das Naziregime vererbt wurden. Darüber hinaus ist die Aufarbeitung der Geschichte der DDR mit Kränkungen verbunden….Wir beobachten Ausgrenzung und Diskriminierung in kirchlichen Institutionen, zum Beispiel führen Richtlinien zu Auswahl und Einstellung von Personal zu Benachteiligungen. Dabei haben die Eingewanderten mehrheitlich einen christlichen Hintergrund…. Wir stellen fest, dass in der Gesetzgebung gegen die Diskriminierung ausländischer Bürgerinnen und Bürger, Eingebürgerter und besonders von Flüchtlingen in Deutschland erhebliche Lücken bestehen.“

Sie gaben u.a. folgende Empfehlungen: Der Einsatz für Menschenrechte, für gerechte und inklusive Gemeinschaften, ist unser evangeliumsgemäßer Auftrag. Wir fordern, dass die Kirchen, d.h. Gemeinden und kirchliche Strukturen Zeugnis ablegen gegen rassistische Ideologien und Handlungen.“

„Die Kirchen sollen sich besonders um die Einbeziehung von Christinnen und Christen … mit ausländischen Wurzeln bemühen. Die Kirchen sollen Gremien, etwa Kommissionen oder Sonderbeauftragte, zur Stärkung der Arbeit gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzen. Wir rufen die Kirchen auf, die Impulse des ÖRK aufzunehmen, die er unter dem Titel „Kirche sein – Rassismus überwinden“ gegeben hat. Sie sollen unter der Überschrift „Gerechte und inklusive Gemeinschaften“ in den Gemeinden und Synoden diskutiert werden. (Aus: „Vorurteile reflektieren, inklusiv werden, Stellung beziehen. Die Empfehlungen der ökumenischen Besuchsgruppe.“)

Es ist nicht so, dass wir bei Null anfangen. Die Teilnehmer der Besuchsreise würdigten die vielen ermutigenden Projekte und Initiativen, die sie besuchten. Wir sollten unser Licht auch nicht unter den Scheffel stellen. Wir sind schon viele Schritte gegangen- und gleichzeitig erkennen wir, wie weit der Weg noch ist.

Mir sind drei Dinge deutlicher denn je geworden:

  1. Rassismus und Rechtsextremismus ist nicht auf einen kleinen gewalttätigen Rand der
    Gesellschaft begrenzt, sondern ist in der Mitte der Gesellschaft zu finden.
  2. Christen sind nicht die Lösung, sondern auch Teil des Problems.
  3. Der Einsatz für Menschenwürde und Demokratie und gegen Rassismus und Rechtsextremismus ist keine nebensächliche Aufgabe von Christen, die sich gern ein wenig politisch engagieren wollen, sondern eine Kernaufgabe, die für unser christliches Selbstverständnis zentrale Bedeutung hat.

Deshalb haben wir es nicht kleiner: „Das Ganze verändern – nicht nur die Nische“

So kann ich uns nur zu dieser Veranstaltung gratulieren und ihr einen guten Verlauf wünschen.
Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.