Gedanken zu Extremismusklausel und reaktionärem Demokratieverständnis

Die Verleihung des sächsischen Demokratiepreises 2010 hat uns zivilgesellschaftlichen Initiativen für Demokratie gegen Rechtsextremismus zwei Hauptimpulse bzw. Wegmarken auf den Weg gegeben. Einerseits den Impuls der mutigen Entscheidung einer zivilgesellschaftlichen Initiative, des Alternativen Kultur- und Bildungszentrum Sächsische Schweiz e.V., den Hauptpreis nicht anzunehmen. Grund dafür war die Bindung des Preises an eine Einschränkung der Bürger- und Freiheitsrechte, nämlich an die Unterzeichung der Extremismusklausel.

Andererseits den Impuls einer ausdrücklichen Ermutigung, sich die im Grundgesetzt niedergelegten libertären Ideen vom Zusammenleben in diesem Land immer wieder vor Augen zu führen. Diesen Impuls setzte Gesine Schwan in Ihrer Laudatio. Erinnert sei hier an ihre mahnenden Worte für die sächsische Gesellschaft: „In einer Demokratie ist ein jeglicher Bürger in erster Linie Bürger aus eigenem Recht und muss nicht überprüft werden ob er in Ordnung ist.“ Als Zitat aus dem im Nachgang eingeholten Gutachten des juristischen Dienstes des Sächsischen Landtages klingt es so: „Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen, erzwingt die Werteloyalität aber nicht.“

Was ist nach der Preisverleihung 2010 im Jahr 2011 passiert?

Mit der Einführung der Extremismusklausel im Rahmen der Preisverleihung des sächsischen Demokratiepreises auf Wunsch des Freistaates wurde eine Entwicklung der immer drastischeren Einschränkungen der Bürger- und Freiheitsrechte in Sachsen sichtbar. Dazu gehört die kritiklose Übernahme der Bundesklausel, die Einführung der eigenen sächsischen Klausel, die gesetzlich nicht gedeckten Razzien am 19. Februar, das flächendeckende Speichern von Datensätzen und das Abhören von Telefonaten – unverhältnismäßig und ohne Achtung der Schutzrechte von Berufsgeheimnissträger_innen, die Hausdurchsuchung in der Pfarrerdienstwohnung des Jenaer Stadtjugendpfarrers König am 08. August 2011 und die medial verstärkte Kriminalisierung von Menschen, die bei Protesten ihrem Gewissen folgen. All das hat weit über die sächsische Landesgrenzen hinaus Aufmerksamkeit erregt und ist mit Sorge und oft auch mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen worden.

Aber noch etwas anderes ist passiert, seit der letzten Preisverleihung: Noch nie gab es in der sächsischen Zivilgesellschaft in dieser Intensität und Breite eine Auseinandersetzung mit unserem Gesellschaftsvertrag – dem Grundgesetz. Viele Initiativen haben auf diesem Weg zu politischen Haltungen gefunden und sind bereit diese auch zu Äußern.

Wir haben in Sachsen bundesweite Solidarität erfahren, für die besondere Situation der zivilgesellschaftlichen Initiativen – einerseits doppelt geklauselt zu sein, anderseits bei der Ausübung der Bürgerrechte, nämlich bei Proteste gegen Neonazis pauschal kriminalisiert und stigmatisiert zu werden.

Wir haben uns im landesweiten Netzwerk Tolerantes Sachsen intensiv mit dem Klauselumgang auseinander gesetzt und es sind neue Menschen zum Netzwerk hinzugekommen, denen es ein Anliegen ist, sich politisch zu äußern. Das Netzwerk hat ein Positionspapier entwickelt, um uns in Sachsen neu zu verorten.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Demokratieentwicklung hat die Solidarität und die Widerstände zu diesem Thema bundesweit gebündelt. Es gab eine breite Diskussion im Raum der Kirchen, ausgehend von der AG Kirche für Demokratie gegen Rechtsextremismus in Sachsen und der BAG Kirche & Rechtsextremismus.

Stiftungen, allen voran die Amadeu Antonio Stiftung, haben sich mit der sächsischen Situation auseinander gesetzzt. In Parlamentsplena auf Bundes- und Landesebene und im Gespräch mit Abgeordneten, den Gewerkschaften bis hin zu Bundesvereinigung der freien Wohlfahrtpflege haben sich unzähliche Menschen kritisch zur Einschränkung von Bürger- und Freiheitsrechten in Sachsen im Allgemeinen und zur Extremismusklausel im Besondern geäußert. Sie alle haben verstanden, dass das, was hier verhandelt wird keine Lappalie ist. Es sind vielmehr die Grundlagen unseres demokratischen Zusammenlebens. Was in Sachsen seit November 2010 geschehen ist, ist ein reaktionärer Tabubruch, der nicht zum gesellschaftlichen Mainstrem werden darf.

Wie weiter?

Es bewegt sich etwas in Sachsen. Auch aus konservativen Kreisen kommen Signale, dass der Staat als alleiniger Garant für eine demokratische Entwicklung nicht ausreicht, dass ein Staat nicht gleich Demokratie ist, und das ein demokratischer Staat auf das kreative Engagement seiner Bürger_innen angewiesen ist. Auch wenn Gewissensentscheidungen manchmal den Rahmen der Rechtsstaatlichkeit dehnen und aus rein staatlicher Perspektive ein „No go“ sind. Die aber ein „Must have“ sein müssen, wenn es um die Entwicklung unserer demokratischen Gesellschaft auch und gerade hier in Sachsen geht.

Hoffnungsvoll stimmt mich daher die Position des CDU Abgeordnete Christian Hartman, der mit Blick auf den kommenden Februar 2012 sagt: „Rechtsextremistischen Aufmärschen muss entgegengetreten werden, aber friedlich und gewaltfrei. Das bedingt auch für die CDU-Fraktion in diesem gemeinsamen Dialog die Bereitschaft, Protest auf Sicht- und Hörweite zuzulassen.“

Demokratie ist ein permanenter Entwicklungsprozess, der sich in kleinen Schritten vollzieht, aber immer ist es ein Prozess – ein ergebnisoffener noch zumal. Es gibt keine fertige Demokratie und jeder Versuch diesen Zustand zu erreichen ist ein erster Schritt zur demokratischen Erosion, da Menschen von der Mitgestaltung ausgeschlossen werden.

Diesem Ansatz von gelebter Demokratie in Sachsen und der gesamten Bundesrepublik Deutschland mehr Raum zu geben, dafür sind wir und Sie alle hier. Dafür brauchen wir eine starke, politische, transparente und kreative Zivilgesellschaft. Dafür brauchen wir weiterhin den sächsischen Demokratiepreis. Dafür brauchen wir die Unterstützung und Anerkennung durch die großen und kleineren Kirchen in diesem Land und durch deren gesellschaftliche Vertretungen, die EKD oder die Bischofskonferenz.

Grit Hanneforth, Kulturwissenschaftlerin und -managerin ist Geschäftsführerin des Kulturbüro Sachsen e.V.

Der Beitrag ist die überarbeitete Version einer Rede zum sächsischen Demokratiepreis 2011, am 09. 11. 2011