Rechtspopulismus in Europa
Mehr als 50 Personen aus mehr als zehn europäischen Ländern nahmen am 6. und 7. Dezember 2018 an der Fachtagung zu „Rechtspopulismus in Europa“ („Right-Wing-Populism in Europe“) teil, die von der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAG K+R) in Kooperation mit Eurodiaconia, der Diakonie Deutschland und der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brüssel ausgerichtet wurde.
Das Erstarken von rechtspopulistischen und rechtsautoritären Strömungen in ganz Europa, und sogar Regierungsbeteiligungen in einigen Ländern, ist eine große Herausforderung für Demokratie und Zivilgesellschaft sowie für die Zukunft der Europäischen Union. Das Vorgehen und der Einfluss von rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien gestalten sich dabei in den verschiedenen Ländern Europas sehr unterschiedlich.
Das Netzwerktreffen diente dazu, einen intensiveren Einblick in die konkreten Entwicklungen verschiedener Staaten zu erhalten, sich als zivilgesellschaftliche Akteur*innen über Erfahrungen auszutauschen und Ideen zu entwickeln, die dazu dienen können, demokratische Strukturen zu stärken und zu verteidigen.
Zur Begrüßung zeichnete Jean-Yves Camus, französischer Politikwissenschaftler und Rechtsextremismusforscher am French Institute for International and Strategic Affairs (IRIS), das Erstarken rechtspopulistischer und rechtsextremer Ideologien und Parteien in Europa vor allem seit den 80er Jahren nach. Gemeinsam sei ihnen der Protest gegen Regierungen und „die Eliten“, gegen Immigration und die Entstehung multikultureller Gesellschaften. Im Zentrum stehen nativistische Vorstellungen, in denen klar zwischen Einheimischen und Zugewanderten unterschieden wird – letzteren werden nicht die gleichen Rechte zugestanden. Die vielfältige Gesellschaft wird als Bedrohung erlebt: Es geht in diesem pessimistischen Weltbild um zivile Unruhen, um Krieg, um einen Kampf auf Leben und Tod. Solche Vorstellungen seien vor rund 20 Jahren noch ein Tabu gewesen – heute seien sie in der Mitte der Gesellschaft zu finden. Wirklich neonazistische und gewaltbereite Gruppierungen seien in Europa nach wie vor an den Rand gedrängt. Die extreme Rechte dagegen strebe zunehmend erfolgreich Regierungsmacht an, suche vor allem aber den ideologischen Einfluss auf andere Gruppierungen – auch und gerade auf die, die sich ihnen entgegenstellten.
Es folgten Länderberichte aus Österreich, Schweden, Ungarn und Frankreich.
Martin Schenk-Mair von der Diakonie Österreich berichtete von Auswirkungen der neuen rechtspopulistischen Regierung auf die konkrete Arbeit von Menschenrechtsaktivist*innen vor Ort und die kleinen, aber andauernden und dadurch effektiven Schritte der Drangsalierung und Einschüchterung, die darauf abzielten, Nichtregierungsorganisationen und die Zivilgesellschaft zu schwächen.
Die Autorin und Journalistin Anna-Lena Lodenius befasste sich in ihrem Vortrag unter anderem damit, wie sich das Auftreten und Erscheinungsbild der Rechten zunehmend geändert und modernisiert habe, um in der Mitte mehr Akzeptanz zu finden. Die „Schwedendemokraten“ seien vor allem bei Männern aus der Arbeiterklasse beliebt, mittlerweile fänden sie aber zunehmend Anklang auch unter Frauen.
András Bíró-Nagy vom Think Tank „Policy Solutions“ in Budapest gab einen Einblick in die Entwicklungen Ungarns. Seit 2015 handele es sich nicht mehr um eine „illiberale Demokratie“, sondern um einen tatsächlich rechtsgerichteten, autoritären Staat, der systematisch das System der „checks and balances“ schwäche. Demokratische Institutionen seien ausgehöhlt worden, Medien hätten weitestgehend die Verbreitung von Propaganda übernommen; das Rechtsstaatsprinzip sei nicht mehr gegeben. Positionen, die der demokratischen Kontrolle von Checks and Balances dienen sollten, seien in der Hand von Fidesz-Loyalisten, es gebe Hasskampagnen gegen Oppositionelle und Minderheiten. Die ungarische Gesellschaft sei zutiefst gespalten und nehme die politischen Entwicklungen völlig verschieden wahr. Problematisch sei dabei ein Gefühl von Resignation, das viele vom Wählen abhalte.
Jean-Yves Camus schilderte in seinem zweiten Vortrag die Entwicklung des Front National bzw. Rassemblement National unter Jean-Marie Le Pen und die Veränderungen unter seiner Tochter Marine Le Pen. Auch hier gebe es eine große Anhängerschaft unter den Arbeitern (zunehmend auch den Arbeiterinnen) und Menschen auf dem Land; ebenso ist der Anteil der jugendlichen Anhänger*innen deutlich gewachsen. Camus sieht den Erfolg der Partei darin, das Bild der Immigration und des Islam in Frankreich stark beeinflusst und die Politik damit bereits entscheidend verändert zu haben. Die Zurückweisung von Antisemitismus unter Marine Le Pen sei lediglich der Tatsache geschuldet, dass dieser zu viele Wähler*innen davon abhalte, für die Partei zu stimmen.
Den Nachmittag bestimmte eine Panel-Diskussion mit Heather Roy, Generalsekretärin von Eurodiaconia, Michael Privot vom European Network Against Racism (ENAR) und Dennis de Jong, Mitglied des Europäischen Parlaments für die Niederlande, moderiert von Katharina Wegner, Europa-Vertreterin der Diakonie Deutschland in Brüssel.
Alle vier beschrieben den steigenden Einfluss rechtspopulistischer Ideologien auf ihren Arbeitsalltag in Brüssel. Die Gewährung von Menschenrechte würde zunehmend an Bedingungen geknüpft und damit in ihrer Allgemeingültigkeit in Frage gestellt. Das Engagement gegen Diskriminierung würde erschwert, der Rechtfertigungsdruck sei gestiegen. Es sei wichtig, wieder mehr in die eigenen Narrative – auch christliche der Gleichheit, Liebe und Hoffnung – zu vertrauen und Netzwerke zwischen den verschiedensten Akteuren der Zivilgesellschaft zu stärken und neue zu schaffen.
Der Vortrag des Politikwissenschaftlers Andreas Umland vom Institute for Euro-Atlantic Cooperation widmete sich am nächsten Vormittag der Analyse des russischen Einflusses auf die extreme Rechte in Europa. Dieser sei vielschichtig und nicht immer eindeutig zuzuordnen. Er reiche von Treffen hochrangiger rechtspopulistischer Politiker*innen mit russischen Politiker*innen hin über Kredite, russischsprachige Medien im Ausland und anderem mehr. Dabei sei Putin vor allem an seinem Verhältnis zur russischen Öffentlichkeit und der Stärkung und Stabilisierung seines autoritären Regimes gelegen, weniger an seinen Beziehungen zu westlichen Regierungen. Deren Destabilisierung wiederum stärke seine Position.
Schließlich gab Franziska Heinze vom Deutschen Jugendinstitut Auskunft über das Programm „Demokratie leben!“, das seit 2015 in ganz Deutschland Initiativen, Vereine und andere Akteure der Zivilgesellschaft stärkt, die sich für ein vielfältiges, gewaltfreies und demokratisches Miteinander einsetzen. Dabei werden vor allem Projekte zur Demokratieförderung und Deradikalisierung gefördert.
Debattiert wurde dies von den Teilnehmenden der Fachtagung vor allem auch in Hinblick darauf, inwieweit dieses Programm auch Vorbildfunktion für die Regierungspolitik ihrer jeweiligen eigenen Ländern haben könnte.
Der Nachmittag war dem Austausch der Teilnehmenden untereinander und dem weiteren Netzwerken gewidmet. Dabei ging es vor allem darum, aus den Informationen und Erfahrungen der Fachtagung heraus Ideen für eine weitreichendere zukünftige Vernetzung und Zusammenarbeit zu entwickeln.
Text und Bild: Natascha Gillenberg
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