Rechtsextremen Aufmarsch am 9. November verbieten!
Offener Brief an den Regierenden Bürgermeister, an den Innensenator, an den Bezirksbürgermeister und die Koalitionsparteien zur Forderung eines Verbots des rechtsextremen Aufmarsches am 9.11.2018
Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister,
sehr geehrter Herr Innensenator,
sehr geehrter Herr Bezirksbürgermeister von Mitte,
sehr geehrte Damen und Herren,
der 9. November ist ein mehrfach besetztes Erinnerungsdatum in der deutschen Geschichte. Spätestens seit 1989 wird das immer wieder betont. In den Tagen und Nächten rund um den 9. November 1938 zerstörten Nazis Geschäfte und Synagogen, attackierten und ermordeten Jüdinnen und Juden und verschleppten rund 30.000 jüdische Männer in Konzentrationslager, wo viele den Tod fanden. Die Pogrome markieren einen Ausbruch antisemitischer Zerstörungswut, die über die Pogromgewalt der Jahre vorher noch weit hinausging und eine weitere Phase der Judenverfolgung im Reich eingeläutet hat. Die weitere systematische Verfolgung gipfelte in der Vernichtung des europäischen Judentums.
Seit der Maueröffnung 1989 kommt dem Datum auch eine weitere Akzentsetzung zu, und es fällt nicht leicht, beide Ereignisse zeitgleich zu erinnern. Die rechtsextreme Szene bezieht den 9. November als „Schicksalstag der Deutschen“ auf den sich
auch gegen die von ihnen verfemte Novemberrevolution von 1918 und die in deren Folge errichtete Republik gerichteten Hitler-Ludendorff-Putsch in München 1923. Dieser Tag wurde im Nationalsozialismus zum Feiertag, bei dem in Trauerzeremonien der bei dem gescheiterten Putsch umgekommenen Nationalsozialisten gedacht wurde. Rechtsextreme Aufmärsche an diesem Tag dienen somit auch der Positionierung im Traditionsbild der NSDAP.
Dass am 9. November 2018, am achtzigsten Jahrestag der Pogrome, die rechtsextreme Gruppierung „Wir für Deutschland“ zu einem „Trauermarsch für die Opfer von Politik“ aufruft, ist unerträglich. Wer hier mit einem verkehrten Opferbegriff hausieren und demonstrieren geht, verhöhnt die Opfer der Novemberpogrome von 1938. Der rechtsextreme Aufmarsch ist eine Provokation.
Wir nehmen es nicht hin, dass dieser Tag von Neonazis benutzt wird, um nationalistischen Hass zu verbreiten. Der 9. November 1938 markiert ein Versagen der deutschen Gesellschaft. Ein Tag, der an die Folgen von Empathielosigkeit, Antisemitismus und Gotteslästerung gemahnt. Dieser Tag muss ein Tag des Gedenkens an die Opfer der Novemberpogrome bleiben, das sind wir ihnen schuldig.
Wir fordern Sie auf, eindeutig Position zu beziehen und dem Versuch entgegenzutreten, diesen Gedenktag für eine Nabelschau der Rechtsextremen zu missbrauchen. Wir fordern Sie auf, den rechtsextremen Aufmarsch zu untersagen. Antisemitismus und Rassismus fallen nicht unter die Meinungsfreiheit. Hass verletzt und bedroht Menschen. Wir bitten Sie, dies besonders am 80. Jahrestag der Novemberpogrome nicht zuzulassen. Wir bitten Sie, ein Zeichen der sensiblen Erinnerung und der aufrichtigen Anteilnahme mit den Opfern der Pogrome zu setzen und Hass entschieden entgegen zu treten.
Jutta Weduwen, Geschäftsführerin Aktion Sühnezeichen Friedensdienste
Erstunterzeichner*innen:
- Dr. Dmitrij Belkin, Koordinator Jüdischer Zukunftskongress
- Prof. Dr. Micha Brumlik, Publizist, Senior Advisor Zentrum für jüdische Studien, Berlin/Brandenburg
- Marina Chernivsky, Leiterin Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST)
- Dr. Andreas Eberhardt, Vorstandsvorsitzender Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ)
- Prof. Dr. Naika Foroutan, Direktorin Berliner Institut für Integrations- und Migrationsforschung (BIM), Humboldt- Universität zu Berlin
- Dr. Verena Haug, Projektkoordinatorin „Antisemitismus und Protestantismus“, Evangelische Akademien in Deutschland
- Prof. Dr. Walter Homolka, Vorstand Leo Baeck Foundation
- Dr. Hans-Christian Jasch, Direktor der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz
- Jan Krebs, Leiter Lernort 7 x jung von Gesicht Zeigen!
- Dr. Thomas Lutz, Gedenkstättenreferent, Stiftung Topographie des Terrors
- Dr. Meron Mendel, Direktor Bildungsstätte Anne Frank
- Dr. Tamara Or, geschäftsführender Vorstand Stiftung Deutsch-Israelisches Zukunftsforum
- Dr. Nora Pester, Inhaberin Hentrich & Hentrich Verlag Berlin Leipzig
- Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung
- Dr. Hermann Simon, Gründungsdirektor Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum
- Prof. Dr. Stefanie Schüler-Springorum, Direktorin Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA), Technische Universität Berlin
- Dr. Anja Siegemund, Direktorin Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum
- Dr. Jörg Skriebeleit, Leiter KZ-Gedenkstätte Flossenbürg
- Dr. Christian Staffa, Studienleiter Demokratische Kultur und Kirche, Evangelische Akademie zu Berlin
- Dr. Ellen Ueberschär, Vorstand Heinrich Böll Stiftung
- Lukas Welz, Vorstandsvorsitzender AMCHA Deutschland
- Prof. Dr. Michael Wildt, Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt im Nationalsozialismus, Humboldt-Universität zu Berlin