BAGK+R – Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus

Newsletter  -  11. Oktober 2011

Newsletter der BAG Kirche & Rechtsextremismus Nummer 1, Oktober 2011

Liebe FreundInnen, liebe Leserinnen und Leser!
Ihr erhaltet heute den ersten Newsletter der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche & Rechtsextre-mismus (BAGKR). Mit dem Newsletter wollen wir Euch zukünftig 3-4x jährlich über Aktivitäten und Neuigkeiten Rund um die Arbeit der BAGKR, der vielen Landesarbeitsgemeinschaften zum Thema Demokratieentwicklung und Arbeit gegen Rechtsextremismus in den evangelischen Landeskirchen und den Initiativen und Arbeitsgruppen in katholischen Diözesen Deutschlands und darüber hinaus informieren.

Eine Reihe von Ereignissen der letzten Wochen machen deutlich, wie aktuell und notwendig die Auseinandersetzung mit menschenfeindlichen und rechtsextremen Einstellungen in unserer Gesellschaft ist: Der von Anders Behring Breivik in der norwegischen Hauptstadt am 22. Juli 2011 verübte Bombenanschlag auf das Regierungsviertel mit acht Opfern und das kurz danach von ihm verübte Massaker an 69 Kindern und Jugendlichen bei einem sozialdemokratischen Jugendlager auf der Insel Utøya haben uns schockiert und tief besorgt. Besorgt macht uns die Tatsache, dass der Attentäter glaubt, sich bei seinem Hassverbrechen und in seiner wahnhaften, rassistischen und islamfeindlichen Ideologie, auf die christliche Botschaft zu berufen können. Schockierend waren die Zahl der Opfer und das Ausmaß von Hass und abgrundtiefer Ablehnung einer offenen und menschenrechts-orientierten Gesellschaft, dass in seiner Rechtfertigungsschrift 2083: A European Declaration of Independence (2083: Eine Europäische Unabhängigkeitserklärung) zu erkennen ist.

Der erneute Wiedereinzug der rechtsextremen NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ist eine erneute schlechte Nachricht für alle, die sich für Demokratie und Menschenrechte, gegen Rechtsextremismus engagieren. Er macht uns einmal mehr auf das Zusammenspiel mehrerer Besorgnis erregender Faktoren aufmerksam:
1. Die lokale und regionale Verankerung rechtsextremer Akteure und Organisationen, beson-ders in den Landkreisen Ostvorpommern und Uecker-Randow (15,4 Prozent der Wähler im Wahlkreis Uecker-Randow I machten ihr Kreuz bei der NPD, auch in den anderen an Polen grenzenden Kreisen lag der Wert am Ende im zweistelligen Bereich. Im studentisch geprägten Rostocker Innenstadtbereich kam die NPD hingegen auf lediglich 2,7 Prozent.)
2. Ein aktiver und aggressiver Wahlkampf, der die Aktivitäten der demokratischen Parteien vielerorts krass in den Schatten stellte (mancherorts fand aufgrund von Personalmangel kein Wahlkampf demokratischer Parteien statt, währen die NPD mit infoständen und eine Fülle von Wahlplakaten die Wahrnehmung dominierte).
3. Eine relativ niedrige Wahlbeteiligung aufgrund von tiefer Demokratieskepsis und gesell-schaftlicher Unzufriedenheit (Einer aktuellen Meinungsumfrage zufolge glauben nur noch 6% der Befragten, dass sich mit Wahlen Politik beeinflussen lassen würde. Nur jede zweite wahlberechtigte Person, 51,4%, ging in Mecklenburg-Vorpommern wählen. 2006 lag der Wert noch bei 59,1 Prozent, 2002 gar bei über 70 Prozent.).
Neonazis können immer dann Wahlerfolge feiern, wenn sie ihre Stammwählerschaft mobilisieren können, während die allgemeine Politikverdrossenheit in der Bevölkerung oder ein politisches Desinteresse die Menschen vom Gang zur Wahlurne abhalten. Der Wiedereinzug der NPD in den Landtag Mecklenburg-Vorpommerns beschert ihr Wahlkampfkostenerstattung, Zuschüsse zur Parlamentarischen Arbeit sowie Abgeordnetendiäten in Millionenhöhe aus Steuermitteln. Die parlamentarische Arbeit der demokratischen Abgeordneten und die außerparlamentarische Arbeit der Initiativen und Netzwerke – auch in den Kirchen – für Demokratie gegen Rechtsextremismus ist, nicht nur wegen dieses Wahlerfolges, weiter dringend nötig.

Eure Geschäftsstelle der BAG Kirche & Rechtsextremismus


Kirchentagskollekte für BAG Kirche & Rechtsextremismus

Die Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Dr. Ellen Ueberschär, übergab am 10. Juni 2011 in Dresden den Betrag von 131.101,29 Euro an die BAGKR. Die Kollekte wurde beim Schlussgottesdienst des 33. Deutschen Evangelischen Kirchentages unter den 120 000 Teilnehmen-den gesammelt.
Zur Erinnerung erhielten ASF-Geschäftsführer Christian Staffa und ASF-Vorstandsmitglied Hildegart Stellmacher sowie Friedemann Bringt vom Kulturbüro Sachsen und Mitbegründer der BAGKR ein großformatiges Foto des Abschlussgottesdienstes.
Als Ort der Fotoübergabe war der Dresdner Neumarkt, zwischen Luther-Denkmal und Frauenkirche gewählt worden. „Wir stehen hier an symbolträchtiger Stelle“, sagte Generalsekretärin Ellen Ueberschär. „Die Frauenkirche, heute ein weltweit bekanntes Wahrzeichen der Versöhnung, war 1933 Schauplatz der Einführung des sogenannten „Arierparagraphen“, des Ausschlusses getaufter Pfarrer jüdischer Herkunft.“ Mit ihrer Geschichte hätten Protestanten allen Grund, politisch wachsam zu sein und demokratisch engagiert zu handeln. „Die Kollekte für die BAGKR ist ein Beitrag zur Stärkung der Demokratie. Kirchentage nehmen ihre Verantwortung für die mutige Gestaltung einer menschenfreundlichen Gesellschaft ernst und unterstützen die Kräftigung demokratischer Gesinnung in allen Teilen des Landes.“ Die Gründung des Deutschen Evangelischen Kirchentages im Jahre 1949 sei eine Reaktion engagierter Laien gewesen, die aus dem Versagen der Amtskirche in der ersten Hälfte des Jahrhunderts die richtigen Lehren ziehen wollte.
ASF-Geschäftsführer Mitglied des Sprecher_innenrates der BAGKR Christian Staffa bedankte sich beim Kirchentag für die Kollekte. „Da die BAGKR im Vorfeld der Neonazi-Demonstration 2010 in Dresden gegründet wurde, gibt es sowohl inhaltliche als auch regionale Bezüge. Für uns Christinnen und Christen ist die Menschenfeindlichkeit der Rechtsextremisten mit unserem Bekenntnis zur Nächstenliebe unvereinbar“. „Leider“, so Staffa, „ist es eine geschichtliche und aktuelle Erfahrung, dass auch Christinnen und Christen menschenfeindliche Ideologien vertreten. Für mich ist der kirchliche Antisemitismus, wie er auch hier in der Frauenkirche – dem damals so genannten Dom der Deutschen Christen – im Dritten Reich propagiert wurde, eine besondere Schuldverstrickung.“


Neues aus dem Sprecher_innenrat

Nach den vielfältigen Aktivitäten der BAGKR und vieler ihrer Mitglieder und Freunde beim 33. Evang. Kirchentag in Dresden – bei keinem Kirchtag bisher gab es so viele Veranstaltungen zum Thema Demokratieförderung und Arbeit gegen Rechtsextremismus – hat der Sprecher_innenrat der BAGKR die Kirchentagsaktivitäten intensiv ausgewertet. Trotz vieler Schritte in die richtige Richtung wurde die Vereinzelung der inhaltlichen Angebote zu unserem Thema in unterschiedlichen Themenbereichen, Zentren, Foren, etc. kritisch bewertet. Ein Zentrum „Kirche für Demokratie gegen Rechtsextremismus“ bleibt, nach Meinung vieler Aktiver ein erstrebenswertes Ziel für den 34. Evang. Kirchentag in Hamburg. Erste Ideen hierzu gibt es bereits.
Wir begrüßen eine Reihe neuer Mitglieder in den Reihen der BAGKR: Die AG Kirche für Demokratie gegen Rechtsextremismus in Sachsen und das Forum Offene Kirche Württemberg, die die BAGKR im Februar 2010 in Dresden mit gegründet hatten, traten der BAG ebenso offiziell bei wie die AG Kirche für Demokratie gegen Rechtsextremismus der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers oder die Amadeu-Antonio-Stiftung und der Verein für demokratische Kultur e.V. aus Berlin. Damit ist die Zahl der offiziellen Mitglieder der BAGKR jetzt auf zwanzig angewachsen. Wir freuen uns nach wie vor über weitere Mitglieder in unseren Reihen weisen aber darauf hin, dass wir laut BAGKR-Geschäftsordnung solche Initiativen und Gruppen aus dem kirchlichen Raum aufnehmen, die sich in ihrer praktischen Arbeit aktiv für Demokratie gegen Rechtsextremismus engagieren. Einzelne Kirchgemeinden oder kirchliche Werke, die unsere Arbeit und Themenstellung wichtig finden, können sich beim Sprecher_innenrat der BAGKR oder einzelnen BAGKR-Mitglieder in ihrer Nähe gerne beraten und informieren, wie ein solches konkretes Projekt oder Netzwerk initiieren und entwickelt werden kann.


Kriminalisierung bürgerschaftlichen Engagements

Immer wieder Sachsen: sächsische Staatsanwaltschaft und Innenbehörden verfolgen und diskriminieren systematisch bürgerschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus
„Das ist sächsische Demokratie.“ So kommentierte der stellvertretende Bundestagspräsident Wolfgang Thierse das harsche Auftreten sächsischer Innenbehörden und den massiven Polizeieinsatz gegen Demonstrierende gegen den Neonaziaufmarsch am 19. Februar 2011 in Dresden. Thierse hatte sich an diesem Tag in Dresden an Protesten gegen Neonazi-Aufmärsche beteiligt. Vor Journalisten beklagte er, dass drei Neonazi-Veranstaltungen zugelassen, die Rechte der demokratischen Demonstranten dagegen eingeschränkt worden seien.
Am 13./14. Februar 1945 bombardierten britische und amerikanische Bomber die Stadt, die als Rückzugs- und Versorgungsbasis der Heeresgruppe Mitte unter General Schörner diente aber auch viele tausend Kriegsflüchtlinge aus dem Osten beherbergte. Der Bombenangriff ist bis heute sowohl in Dresden selber, als auch weit darüber hinaus umstritten.Eine lautstarke Minderheit Dresdner Bürgerinnen und Bürger mag von der Mittäterschaft der Dresdner Bevölkerung im NS (Dresden hatte pro Kopf der Stadtbevölkerung die meisten NSDAP-Mitglieder in Deutschland, war sowohl als Offiziersausbildungs- als auch als Kasernenstandoprt des Heeres und als Rüstungs- und Versorgungsstandort der Wehrmacht von Bedeutung, seine weltbekannte Frauenkirche wurde 1943 vom Deutsche Christen-Reichsbischof Müller zum „Dom der Deutschen Christen“ geweiht) bis heute nichts wissen. Das Trauma der Zerstörung der Stadt sitzt wie ein Gummistopfen auf einem Reagenzglas voller unbearbeiteter Tatsachen aus Schuld, Verdrängung und Opfermythos.
So nimmt es nicht Wunder, dass Neonazis aller Couleur in Dresden leichtes Spiel haben, wenn sie, wie seit 1997 regelmäßig und mit großem Zulauf Tatsachen verdrehend und revisionistisch Trauermärsche Organisieren und vom Bombenholocaust gegen die deutsche Zivilbevölkerung faseln. Die Trauermärsche von NPD und Junger Landsmannschaft Ostdeutschland sind mittlerweile, von sächsischen Innenbehörden und Dresdner Stadtverwaltung weitgehend unbehelligt, zur größten regelmäßig stattfindenden Neonazidemonstration in Europa angewachsen.
Traditionell finden sie an dem dem Gedenktag am 13. Februar am nächsten liegenden Samstag statt. Der viel im Februar 2011 auf den 19.

Das Land Sachsen und mittlerweile die gesamte Bundesrepublik kommt seit diesem Tag nicht mehr zur Ruhe. Nachdem die Neonazidemonstrationen durch viele tausend, zumeist friedliche Demonstrierende aus der gesamten Bundesrepublik und dem benachbarten Ausland sowohl 2010 und 2011 blockiert wurde, verfolgen Dresdner Staatsanwaltschaft und sächsische Innenbehörden konsequent alle OrganisatorInnen der Blockadeorganisationen oder Personen, die sie dafür halten:
Bereits am Abend des 19. Februar 2011 wurde ein Gebäude der Dresdner Linkspartei von Polizeieinsatzkräften gestürmt, weil man darin Menschen vermutete, die zu Angriffen auf Polizisten aufgerufen haben sollen. Das dabei auch die Räume einer Rechtsanwaltskanzlei widerrechtlich aufgebrochen und durchsucht wurden, war rechtswidrig (AZ 270 Gs 662/11). Die Ermittlungsrichter des Dresdner Amtsgerichtes weisen mit ihrem Beschluss vom 29. 09. 2001 die Dresdner Staatsanwaltschaft und Ermittlungsbehörden in ihre Schranken. Bereits kurz nach den Blockaden im Jahr 2010 begann die Dresdner Staatsanwaltschaft gegen Aufrufende zu den Aktivitäten des Blockadebündnisses „Dresden Nazifrei“ wegen Aufrufens zu einer Straftat und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz zu ermitteln. Da der Aufmarsch der rechtsextremen Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland genehmigt war, hatte die Staatsanwaltschaft schon im Vorfeld Aufrufe zu einer Blockade als Straftat eingestuft. Diese Ermittlungen trafen insbesondere Abgeordnete der Linkspartei aus Sachsen, Thüringen und dem Bundestag. Ihnen wurde angeboten, das Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße im mittleren dreistelligen Bereich einzustellen. Die Betroffenen weigern sich aber bisher, einer Bußzahlung zuzustimmen.
Einige Monate nach den Ereignissen am 19. Februar 2011 deckte die TAZ auf, dass sowohl während der Demonstrationen 2010, als auch 2011 mittels Funkzellenabfrage Handydaten in bisher ungeahntem Ausmaß und auf Basis einer zweifelhaften Richterentscheidung von den sächsischen Innenbehörden erfasst worden waren. Während der diesbezüglichen Debatten im sächsischen Landtag war das Ausmaß der Abhöraktionen immer deutlicher geworden. Die Wahrheit kam nur in Salamitaktik ans Licht. War am Anfang der Debatte von Verkehrsdaten die Rede, also Daten zum Standort, so wurde schnell klar, dass auch Bestandsdaten, Namen, Adressen und Geburtsdaten von 40.000 Menschen erfasst worden sind. Da die Abhöraktion neben dem 13. Februar auch den 18. und 19. Februar – also ca. 48 Stunden am Stück – erfasste, war es so auch möglich aus den vorliegenden Daten Bewegungsprofile Einzelner zu erstellen. Im Verlauf der Untersuchung der Abhöraktion wurde deutlich, dass mehr als eine Million Datensätze von knapp 300.000 Personen erhoben worden waren.
Der vom Landtag mit der Untersuchung beauftragte sächsische Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig ermittelte, dass „mehrfach gegen gesetzliche Vorgaben verstoßen [wurde]“. Will man ein oder mehre Gewalttäter (dabei muss es sich um schwerwiegende Straftaten handeln) abhören und erfasst dabei 40.000 unverdächtige Bürger_innen, dann kann von Angemessenheit ders Mittels der Funkzelenabfrage keine keine Rede mehr sein. Außerdem sind im Vorwege mildere Mittel zu prüfen. Außerdem war zu dem Zeitpunkt an dem die Anhöraktion statt fand klar, dass sich auch Berufsgeheimnisträger_innen (Anwälte, Abgeordnete, Pfarrer_innen, Journalisten u.a.) in diesem Gebiet befinden. Die Polizei hätte schon alleine aufgrund dieser Information von der Abhöraktion, selbst bei vorliegender richterlicher Entscheidung, Abstand nehmen müssen. Das bestätigt auch der Verfassungsrechtler der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, Joachim Wieland. (http://www.l-iz.de/Politik/Sachsen/2011/09/Polizei-und-Staatsanwaltschaft-wussten-von-Grenzueberschreitung-29481.html Warum die Situation von der sächsischen Polizei und vom Verwaltungsgericht anders bewertet wurde, versucht der sächsische Landtag zu klären. Wirft diese Interpretation der juristischen Rahmenbedingungen schon ein getrübtes Licht auf das sächsische Demokratieverständnis, so musste der sächsische Innenminister, Markus Ulbig (CDU), auch noch bestätigen, dass Polizei und Staatsschutz einzelne Gespräche auch inhaltlich abgehört haben.
Arroganz der Macht?
Die kritisierten Behörden weisen jegliches Fehlverhalten aggressiv von sich: Der stellvertretende Leiter der Polizeidirektion Oberes Elbtal/Osterzgebirge, Andreas Arnold stellt sogar Strafanzeige gegen Wolfgang Thierse wegen der „Beleidigung sächsischer Polizisten und Einsatzkräfte aus den anderen Bundesländern durch einen der höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik“ und meint damit den eingangs zitierten Satz zur „sächsischen Demokratie“. Ganz große Geschütze fährt auch der Präsident des Oberlandesgerichts Dresden, Ulrich Hagenloch, auf: Er verwahrt sich mit einer geharnischten Erklärung gegen den Bericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten und wirft diesem „Verstoß gegen das Sächsische Datenschutzgesetz“ und einen“ Eingriff in das verfassungsrechtliche Prinzip der Gewaltenteilung“ vor.
Konsequenzen aus dem Abhörskandal ließen sich jedoch selbst in Sachsen nicht vermeiden: Weil er „seine Vorgesetzen unzureichend über das Ausmaß informiert“ habe, musste Dresdens Polizeipräsident Dieter Hanitsch im Sommer 2011 seinen Hut nehmen. Ein Bauernopfer, denn sein direkter Dienstvorgesetzter, Landespolizeipräsident Merbitz, und Innenminister Ulbig blieben im Amt. Sachsen hat zudem kürzlich eine Bundesratsinitiative vorgestellt, um die Bedingungen für Datenabfragen in der Strafprozessordnung klarer zu formulieren…

Die Ermittlungen der Polizei wegen der Blockaden am 19. Februar 2011 nehmen immer absurdere Züge an: Am frühen Morgen des 10. August 2011 durchsuchen sächsische PolizistInnen auf Ersuchen der Dresdner Staatsanwaltschaft die Wohnung und Diensträume des Jenaer Jugendpfarrers Lothar König, weil er aus dem Lautsprecherwagen der JG Jena heraus zu Blockaden und Straftaten gegenüber PolizistInnen aufgerufen haben soll. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft Dresden gegenüber dem Gottesmann: „schwerer aufwieglerischer Landfriedensbruch“. Filmmaterial widerlegt diese Vorwürfe deutlich:
(http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1424642/Pfarrer+von+der+Staatsmacht+verfolgt#/beitrag/video/1424642/Pfarrer-von-der-Staatsmacht-verfolgt).
Aus Sorge über die politische Unzuverlässigkeit der Thüringer AmtskollegInnen unterließen es die sächsischen BeamtInnen zunächst sogar, das Thüringer Innenministerium – wie sonst üblich – über die Hausdurchsuchung zu informieren und KollegInnen mit ihrer Ortskenntnis einzubeziehen (http://jg-stadtmitte.de/2011/09/27/sachsen-justizminister-martens-hat-gelogen/).
Mehrere Bündnisse, Kirchen und Politiker protestieren gegen die Kriminalisierung, auch die BAGKR (https://www.asf-ev.de/de/meta/presse/august-2011.html). So kritisierte die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) die Razzia der sächsischen Polizei scharf. Ihre Bischöfin Ilse Junkermann erklärte, die von der Dresdner Staatsanwaltschaft initiierte Aktion sei skandalös. Mit der Durchsuchung der Räume und der Beschlagnahme von Datenträgern aus dem Besitz des Pfarrers werde das Seelsorge-Geheimnis gefährdet. Junkermann deutete an, dass die Kirche das Vorgehen der Polizei und Staatsanwaltschaft aus Sachsen für rechtswidrig hält: Die Präsidentin des Landeskirchenamtes der EKM, Brigitte Andrae, sprach von einem gravierenden Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Kirche.
Zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rechtsextremismus und die Opposition im sächsischen Landtag sehen in dem Vorgehen von Innenbehörden und Staatsanwaltschaft im Nachgang der Februar-Demonstrationen 2010 und 2011 eine Kriminalisierung Engagierter Bürgerinnen und Bürger und einen massiven Eingriff in die Freiheits- und Bürgerechte. Die erfolgreiche Blockade von 2010 war den sächsischen Behörden, Verwaltungsgerichten, Staatsanwaltschaft, Innenministerium und Polizei, offensichtlich zu viel des engagieren Bürgerwillens auf Sachsen Straßen. Was in anderen Städten wie Jena, Wunsiedel, Erfurt, Dessau, Lübeck, Hamburg, Berlin, etc. als zivilgesellschaftlicher Erfolg gefeiert wird und die öffentliche Unterstützung der Politik erfährt ist in Sachsen verdächtigt und ein justiziabler Grund Menschen abzuhören, zu kriminalisieren und in ihrem Engagement zu verunsichern.
Dass sich die sächsische Staatsregierung nach vier Jahren erstmalig weigert, den renommierten Sächsischen Demokratiepreis von der Stiftung Dresdner Frauenkirche und der Kulturstiftung Dresden der Dresdner Bank gemeinsam mit der Amadeu-Antonio-Stiftung und der Freudenberg-Stiftung zu verleihen, weil beide letztgenannten Stiftungen, die sog. Extremismusklausel ablehnen, fügt sich wie ein weiteres Puzzelteil ins Bild „sächsischer Demokratie“.
Welches Rechtsverständnis, welches Demokratieverständnis hat der Freistaat Sachsen und seine Behörden? Diese Frage stellen sich viele Beobachterinnen und Beobachter dieser Tage. In Stuttgart führten Demonstrationen und bürgerschaftliches Engagement zu einer Mediation, zu Stresstests, zu einem sensationellen Regierungswechsel. In Sachsen führen der legale Protest und legitime Blockaden (http://www.luebecker-erklaerung.de/download.html) zu Kriminalisierung, Überwachung und tiefem Misstrauen zwischen engagierter Bürgerschaft und Staat.
Doch der Unmut bei den Menschen in Sachsen und dem gesamten Bundesgebiet wächst. Immer mehr BürgerInnen wollen auf die Straße gehen und ihr Grundrecht auf Gegendemonstration in Sicht- und Hörweite der Neonazis wahrnehmen. Jede und jeder soll dabei die passende Protestform finden, von der Kundgebung, über Menschenketten und Mahnwachen, Friedensgebete, Protest in Sicht-und Hörweite bis hin zu Blockaden. Diesen vielfältigen Protestformen ohne Diffamierung und Kriminalisierung Ausdruck zu verleihen entspricht dem Willen der BürgerInnen und den Bürger- und Freiheitsrechten. Diesen wieder Raum, Stimme und Gesicht zu verleihen – gerade in Sachsen, dass so stolz auf die Demonstrationen im Herbst 1989 ist – ist die Aufgabe für den Februar 2012.
Grit Hanneforth, Kulturbüro Sachsen & Friedemann Bringt, BAGKR


Aus den Regionen

Erster Runder Tisch zur Arbeit gegen Rechtsextremismus in der ELKB
Mitte September trafen sich erstmalig 12 Personen aus der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, die sich an unterschiedlichen Orten mit Rechtsextremismus auseinandersetzen. Die Initiative ging aus vom Nürnberger Regionalbischof Dr. Stefan Ark Nitsche, vom Leiter der Projektstelle gegen Rechtsextremismus Alexandersbad, Martin Becher, und von Klaus Schultz, Versöhnungskirche Dachau.
Vertreten waren am Runden Tisch die Kirchenleitung, Dekane, Gemeindepfarrer sowie die Jugend- und Bildungsarbeit aus fünf der sechs Kirchenkreise. Einig war sich die Runde, dass soziale Verwerfungen der Hauptnährboden für rechtsextreme Entwicklungen sind. In weiteren Treffen wird geklärt, in welchen Arbeitsbereichen Kirche sich gegen Rechtsextremismus engagieren soll, welche Funktion Kirche gegenüber den gesellschaftlichen Mitakteuren hat und auf welche theologische Begründung sich kirchliches Engagement gegen Rechtsextremismus stützt.
Autor: Martin Becher, geb. 1961, Dipl.-Päd. und Dipl.-Pol., arbeitet seit mehr als 25 Jahren in der politischen Erwachsenenbildung und im Gedenkstättenbereich. Er war Geschäftsführer des Verbands der evangelischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und ist seit März 2011 Geschäftsführer des „Bayerischen Bündnis für Toleranz – Demokratie und Menschen würde schützen“ und Leiter der Projektstelle gegen Rechtsextremismus am Evangelischen Bildungs- und Tagungszentrum Alexandersbad bei Wunsiedel.

Nordelbische Synode berät über Dekade ‚Gewalt überwinden‘
Unter dem Schwerpunktthema „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung – mit Er-gebnissen der Dekade ‚Gewalt überwinden‘ in die Zukunft gehen“ beriet die Nordelbische Synode vom 22. – 24. September 2011 Ergebnisse und Perspektiven der zurückliegenden zehn Jahre, pas-sender weise in zehn Arbeitsgruppen.
In den letzten Jahren wurde auch die kirchliche Arbeit gegen Rechtsextremismus auch Sache der Dekade in der Nordelbischen Landeskirche, ihrer Arbeitsstelle „Gewalt überwinden“ (www.gewalt-ueberwinden.de) und des Dekadebeirates. Dies war der Nordelbischen Synode Anlass, eine der 10 synodalen Arbeitsgruppen unter das Thema „Demokratiearbeit – Kirche und Rechtsextremismus“ zu stellen. Intensiv diskutierten die Synodalen einen Nachmittag lang folgende Fragen: Welche Aktionsformen sind legitim, wenn Nazis von ihrem Demonstrationsrecht und Ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen? Welche Aufgabe und Rolle haben wir als Kirche angesichts fremdenfeindlicher, rassistischer und neonazistischer Ideologien und Aktionen zum Erhalt der Zivil-gesellschaft? Was können wir als Kirche konkret zur Förderung einer demokratischen Kultur beitra-gen?
Die Perspektiven für die Arbeit für Demokratie gegen Rechtsextremismus in der Nordkirche (www.kirche-im-norden.de), die Pfingsten 2012 gegründet werden soll, erscheinen nach der Diskussion in der Nordelbischen Synode und darüber hinaus gut. Aufbauend auf die schon heute gute Vernetzung der Akteure gilt es dann in der neuen Nordkirche die Vernetzung kirchlicher Initiativen und Projekte auszubauen und die Nordkirche als zivilgesellschaftliche Kraft in der Arbeit gegen Rechtsextremismus zu stärken.
Autor: Joachim Nolte, geb 1963, Wohnungsverwalter, BAGKR Gründungsmitglied und Mitglied im Sprecher_innenrat der BAGKR, Mitglied im Kirchenvorstand St. Aegiden zu Lübeck und der Kirchenkreissynode des Ev.-Luth. Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg. Er vertritt als Beauftragter ‚Kirche gegen Rechtsextremismus‘ des Ev.-Luth. Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg (www.kirche-gegen-rechtsextremismus.de/luebeck.html) den Kirchenkreis im Lübecker Bündnis WIR KÖNNEN SIE STOPPEN (www.wir-koennen-sie-stoppen.de) und sitzt dabei manchmal zwischen allen Stühlen (www.kirche-gegen-rechtsextremismus.de/wirkoennensiestoppen.html).


Empfehlenswerte Publikationen

2. überarbeitete Auflage der Arbeitshilfge „Neonazis enttarnen“ erscheint demnächst
Die Initiative „Kirche für Demokratie gegen Rechtsextremismus“ und das Zentrum demokratische Bildung in Wolfsburg geben die Arbeitshilfe „Neonazis enttarnen“ neu heraus. Die 2. Überarbeitete Auflage mit verbesserten Modulen soll ab Januar 2012 für ca. 5,- € beim Haus Kirchlicher Dienste in Hannover erhältlich sein.


TERMINE · VERANSTALTUNGEN · AKTIONEN

Bundesweite Fachkonferenz der BAGKR in Wittenberg
Die BAGKR veranstaltet in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt e.V. und der Arbeitsgemeinschaft Kirche & Rechtsextremismus der Ev. Kirche in Mitteldeutschland ihre erste bundesweite Fachkonferenz am 11./12. November 2011 in Lutherstadt Wittenberg. Einige Plätze für weitere Teilnehmende sind noch vorhanden.
Besonders freuen wir uns, dass der Ratsvorsitzende der EKD, Nikolaus Schneider uns einen inhaltlichen Impuls für die Konferenz geben wird.
Mehr dazu ->
Unter dem Motto „Das Ganze verändern – nicht nur die Nische. Wege zu christlichem Handeln für Demokratie gegen menschenfeindliche Einstellungen in Ost- und Westdeutschland“ wollen wir eineinhalb Tage lang Erfahrungen in Ost und West mit Alltagsrassismus, Antisemitismus und rechtsextremen Einstellungen in der Gesellschaft, aber auch in unseren Kirchen diskutieren und uns unsere Aktivitäten dagegen vorstellen.
Die Konferenz wird im Rahmen der diesjährigen Friedensdekade, am 11./12. November 2011 in Lutherstadt Wittenberg stattfinden. Wir erwarten interessante Beiträge von Praktikerinnen und Praktikern aus dem gesamten Bundesgebiet, der Tschechischen Republik und der Europäischen Union. Ziel ist es, erstmals Kirchenleitende aus der evangelischen Kirche und Praktiker_innen aus katholischen und evangelischen Kirchgemeinden und Nichtregierungsorganisationen in der Arbeit für Demokratie und Menschenrechte und gegen Rechtsextremismus auf Bundesebene zusammenzubringen, Ideen und Anregungen für die Arbeit vor Ort zu geben und den Erfahrungsaustausch zu fördern.
Weitere Informationen zu Referentinnen und Referenten, zum genauen, tagesaktuellen Ablauf der Konferenz, den Arbeitsgruppen und die entsprechenden Anmeldeunterlagen erhaltet Ihr unter www.bagkr.de/konferenz/programm auf unserer Homepage. Bitte meldet Euch bis zum 02. 11. 2011 verbindlich bei der Ev. Akademie Sachsen-Anhalt e.V. zur Konferenz an.
Tagungsort:
Martin-Luther-Hotel, Wittenberg
Neustraße 7-10
06 886 Lutherstadt Wittenberg
www.luther-hotel-wittenberg.de

ASF-Bleiberechtskampagne für Roma in Deutschland featuren

Gerne können Sie sich bei weiteren Fragen und Wünschen an Friedemann Bringt, Bundeskoordination der BAGKR unter der Telefonnummer 030/ 28 395-203 oder post@bagkr.de wenden.
Dieser Newsletter mit Mitteilungen aus der Arbeit der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche & Rechtsextremismus (BAGKR) wird von der Koordinierungsstelle der BAGKR zusammengestellt.
Anmerkungen und Fragen richten Sie bitte an: post@bagkr.de

Der Online-Newsletter der BAGKR wird über die ASF-Mailingliste und an den speziellen Adressverteiler der BAGKR verbreitet. Wer in Zukunft nur den Newsletter erhalten will, kann ihn unter http://news.asf-ev.de/mailman/listinfo/asf-newsletter abonnieren und sich von der Mailingliste asf-news unter http://news.asf-ev.de/mailman/listinfo/asf-news abmelden.
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